Sicherheitsrisiko Reitstall?

Sicherheit und Qualität haben gerade bei uns in Deutschland eine lange Tradition. Wie aber steht es mit Sicherheit und Qualität im Reitstall?

Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass die Gebäude, die wir betreten, sichere Treppenstufen und Geländer haben, die Aufzüge TÜV-geprüft sind. Dasselbe gilt für Spielgeräte am Spielplatz, von denen selbstverständlich keine Gefahr ausgehen darf. Und wenn die Kleinen aus dem Kindergarten mit Magenschmerzen heimkommen, fragen wir automatisch, ob das Essen dort verdorben war. Und wehe, es fände sich eine Spur Schimmel am Brot...

Ein trauriger Unfall

Das allabendliche „Pferde Reinholen" ist in so manchen Ställen eine kollektive Angelegenheit – sprich die Pferde rasen mehr oder weniger unkontrolliert über die Koppel bis zum Tor, dann über Treibgänge bis in ihre Stallgasse und letztlich in die Box. Es gibt kaum einen Stall, in dem dabei nicht schon Unfälle passiert sind – von der harmlosen Schürfwunde bis zum gebrochenen Bein, wenn sich zwei Pferde in einer Box prügeln. Auch vermeintlich tolpatschige Menschen, die nicht schnell genug zur Seite springen, wurden schon verletzt.

Auf böse Vorfälle angesprochen, meinen die Stallbetreiber meistens, die Einsteller hätten ja um die Gefahren gewusst und sich bewusst darauf eingelassen. Zudem sei das Führen jedes einzelnen Pferdes zu zeitaufwändig. 15 Minuten pro Tag mehr zuviel für ein Pferdeleben? Oder vielleicht sogar für ein Menschenleben?

Mangelnde Sachkunde

Jeder einzelne Fall ist ein Beispiel dafür, wie nachlässig manche Pensionsstallbetreiber teilweise mit unserem teuren – im finanziellen wie ideellen Sinne – Gut umgehen. „Diese Probleme resultieren aus der leider oft mangelhaften Sach- und Fachkunde der Betreiber. Viele Landwirte stellen ihren Schweine- oder Rinderbetrieb auf Pferdehaltung um. Sie sind der Meinung, dass ihre Anlage mit ein paar Modifikationen in Heimwerkermanier mit billigem Material ausreichend sicher ist," meint Ingolf Bender, Berater für Pferdehaltung im weitesten Sinne. Aber nicht nur Bauern, auch so manchem privaten Resthofbesitzer, der zusätzlich zu eigener Pferdehaltung ein paar Boxen vermietet, sind die Sicherheits- und Qualitätsanforderungen nicht unbedingt immer geläufig.

Untaugliches Baumaterial, unsachgemäße Verarbeitung

Die Konsequenzen sind oft untaugliches Baumaterial wie zu dünnes, weiches und splitterfähiges Holz für Boxen und Zäune, unverzinkte Eisenrohre als Trenngitter, die einfach zusammengeschweißt werden. Dadurch entstehen scharfkantige Schweißnähte und ein Verletzungs- und Infektionsrisiko, das durch Rost und Schmutz erhöht wird. Auch können diese Stangen leicht brechen. „Die Kräfte der Pferde und vor allem ihr Bewegungsverhalten werden oft unterschätzt. Wenn ein 600 Kilo schweres Pferd mit einer Schrittgeschwindigkeit von nur 4 Kilometern pro Stunde durch eine zu schmale Tür geht und mit dem Becken hängen bleibt, bricht der Knochen ganz schnell," so Bender weiter.

Weitere Beispiele sind zu niedrige Boxentrennwände, über die ein Pferd schon einmal zum Nachbarn schlägt, Türen ohne unteren Sicherungshaken, so dass Pferde beim Wälzen die Tür nach außen durchtreten und sich beim Zurückziehen den Huf verletzen; zu weite Abstände in den Trenngittern, einfaches Glas an Fenstern ohne Schutzgitter. Zu den baulichen Mängeln gehören auch schlampige Stromleitungsverlegung, Schalter und Steckdosen in Erreichbarkeit der Pferde, hervorstehende Wasseranschlüsse und Sattelhalter.

Ein weiteres Sicherheitsrisiko entsteht aus unsachgemäßer Einzäunung. Mittlerweile wurde Stacheldraht durch eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Weimar (AZ KO700/99) als alleinige Verwendung als tierschutzwidrig eingestuft. Dasselbe gilt für Knotengitterzäune und nicht stromführenden Glattdraht. Unsicher sind außerdem alle E-Zäune mit schwach verspannter und schlecht sichtbarer Litze.

Auch das allgemeine Haltungsmanagement entspringt oft mangelnder Fachkunde: unsachgemäßes oder gar grob fahrlässiges Verbringen zur und von der Weide, offene Türen zu Futterkammern, Haferkisten ohne Deckel, umher stehende Mistgabeln und Schubkarren, Wasserwagen mit ungesicherten Deichseln, Wasserbehälter mit scharfen Kanten, im Winter ungestreute Höfe.

Last not least kommt dazu oft genug die Diskussion um manchmal schimmelige Heu-, Stroh- oder Silageballen, aus denen (wenn überhaupt) nur die Schimmelnester entfernt werden, obwohl der gesamte Ballen auf den Misthaufen gehörte. Die Folge muss nicht immer die Kolik sein. Schimmelpilze sind generell ein Sicherheitsrisiko - für Atmung und Verdauung gleichermaßen.

Mut zur Wahrheit!

Die meisten Einsteller haben bei einem Unfall nicht den Mut, beim Stallbetreiber die Tierarztrechnung einzufordern – wie der Beitrag „Ihr gutes Recht" (s. Seite??) beweist. Sie fürchten Auseinandersetzungen und Ärger, dass der Betreiber seinen Unmut am Tier auslässt, weniger füttert oder schlechter ausmistet – und schließlich davor, gekündigt zu werden und keine bessere Alternative zu finden.

Und selbst wenn der Einsteller auf Schadensersatz besteht, kommt oft die Antwort: „Sie haben ja gewusst, wie die Box aussieht und hätten ja was sagen können...." Das ist prinzipiell richtig und gilt sicherlich für offensichtliche Mängel wie Stacheldrahtzäune und herausstehende Nägel an der Wand. Aber inwieweit muss der Pferdebesitzer auch Fachmann für Stallbau sein? Kann man von einem Reiter, der vielleicht sein erstes eigenes Pferd und somit wenig Erfahrungen hat, ein kritisches Auge verlangen? Ab welchem Maß ist die Trennwand hoch genug, sind die Gitterstäbe ausreichend dick und im richtigen Abstand?

Genau hinsehen!

Stallbetreibern und Einstellern gleichermaßen sei daher empfohlen, sich in der einschlägigen Literatur (s. Hinweise) oder auch auf der Web-Seite des Verbraucherschutzministeriums zu informieren, wie eine pferdegerechte und vor allem sichere Unterbringung auszusehen hat. Einige Beispiele werden hier beschrieben.

Die Anforderungen betreffen bestimmte Maße für Boxengrößen, Trennwände und. So sollten Trennwände und oben offene Türen für eine durchschnittliche Pferdegröße von 1,67 m Stockmaß etwa 1,35 m hoch sein. Trenngitter im Schlagbereich dürfen höchstens einen Stangenabstand von 5 cm oder – nur wenn sich die Pferde gut kennen – über 20 cm haben, damit der Huf entweder gar nicht oder leicht hindurchpasst. Im Kopfbereich muss der Abstand unter 17 cm oder über 30 cm sein. Die Rohre oder Stangen des Gitteraufsatzes müssen eine Materialstärke von 20 bis 25 mm aufweisen. Um ein Durchschlagen zu verhindern, wird als Boxenmaterial 40(!) mm dickes Hartholz (Robinie, Eiche, Lärche) oder 25 mm dicke schlagfeste Sperrholzplatten empfohlen. Der Bodenabstand der Zwischenwände darf maximal 5 cm, bei Fohlen nur 2 cm betragen. Alle Türen eines Pferdestalls sollten eine Mindestbreite von 1,2 m aufweisen.

Wenn auf Pachtweiden die bestehende Einzäunung aus Stacheldraht, Knotengitter- oder Glattdraht nicht entfernt werden darf, muss sie innen mit einem gut sichtbaren Zaun mit einem Meter Abstand abgesichert sein.

Schmale Litzen bieten nur in Verbindung mit einem Festzaun aus Holz oder Gummigurtbändern die nötige Sicherheit. In anderen Fällen müssen drei Reihen und mindestens 4 cm breite Litzen gezogen werden, die an festen abgerundeten Pfählen angebracht sind. Die Latten sollten aus festem Holz gefertigt sein. Die Zaunhöhe darf die Widerristhöhe minus 10 Prozent nicht unterschreiten – also für ein durchschnittliches Warmblut etwa 1,5 m; für Hengste gilt Widerristhöhe plus 10 Prozent, also ab 1,7 m.

Wer überprüft die Korrektheit der Anlage und Haltung?

In gewissen Grenzen unterliegt die Pferdehaltung der Überwachung des Veterinäramtes. Dies gilt zumindest für gewerblich genutzte Reit- und Fahrställe, in denen Pferde vermietet werden. In reinen Privatställen werden die Amtstierärzte nur auf Hinweise tätig. Nur in seltenen Fällen werden auch stichprobenartige Besuche der Anlagen durchgeführt.

Auch manche Versicherungen begutachten eine Anlage, bevor sie einen Pensionsstall in ihre Betriebshaftpflichtversicherung aufnehmen.

FN-geprüfter Pferdestall

Seit dem Jahr 2000 bietet die Deutsche Reiterliche Vereinigung ein Kennzeichnungssystem an, mit dem sich Zuchtbetriebe und Reitschulen, Pensions- und Turnierställe sowie Ferienbetriebe qualitativ überprüfen und kennzeichnen lassen können. Dafür besichtigt eine von der FN beauftragte Kommission den Stall nach den Richtlinien der tierschutzgerechten Pferdehaltung. Ist der Stall in Ordnung, erhält er für drei Jahre ein Kennzeichnungsschild mit Prüfplakette. Diese nachgewiesene Qualität hat positiven Werbecharakter, der den Stall gegenüber anderen herausheben kann.

Eine Frage von Zeit und Kosten

Mehr Qualität und Sicherheit ist in vielen Fällen ein Zeit- und damit Personal- und Kostenproblem. Während im Jahr 1969 eine Pferdebox bei München soviel wie eine Vierzimmerwohnung in guter Lage – nämlich um 300 DM – kostete, ist diese Dienstleistung heute für das Doppelte, also rund 300 Euro zu haben. Der Wohnungsmietpreis hat sich dagegen verzehnfacht.
Selten wird eingesehen, dass Service auch im Reitstall Geld kostet. Jeder von uns bezahlt ohne Murren für einen halbstündigen Friseurbesuch zwischen 25 und 40 Euro. Wer aber würde dem Pferdepfleger für einen täglichen individuellen und damit sicheren Koppelservice, der morgens und abends jeweils 10 Minuten kostet (und damit im Monat rund zehn Stunden) monatlich 50 Euro mehr bezahlen? Das wäre Wucher? Nein. Ein Stundenlohn von fünf Euro...

Kein Wunder, dass da in den Ställen an vielen Fällen gespart und bewusst ein – finanziell kalkulierbares – Risiko eingegangen wird. Diese Sichtweise klingt zwar brutal, ist aber in unserem Wirtschaftssystem der Gewinnmaximierung durchaus verständlich.

Das ganze Leben ist ein Kompromiss

Diese Erkenntnis erstreckt sich leider auch auf den Pensionsstall. Das Ideal zu realisieren ist sicherlich sehr schwierig und wird natürlich auch vom jeweiligen Pferd, seinem Einsatz und Reiter bestimmt: eine Quarter Horse Stute im Ponymaß, die ganztags auf der Weide steht, kann mit einer kleineren Box und etwas niedrigeren Trennwänden eher leben als ein 1,65 m großer Hengst, der den Tag im Stall verbringt. Manche Betreiber geben in einem ruhigen Gespräch auch zu, dass sie das eine oder andere nicht gewusst haben und gerne hinzulernen – und handeln entsprechend. So hat der Stallinhaber, auf dessen Hof der eingangs beschriebene Unfall passierte zugesagt, das Hereinbringen von der Koppel nach der Weidesaison sicherer zu gestalten.
Wenn allerdings die sachliche Kommunikation nichts bringt und die Zustände nach der Definition grober Fahrlässigkeit „ich weiß, dass etwas passieren kann und nehme größere Risiko billigend in Kauf" unverbesserlich bleiben, kann der Einsteller nur die Konsequenzen ziehen und den Stall verlassen oder – wenn er die Missstände von vorne herein erkennt - gar nicht erst mit seinem Pferd dort einziehen.

Mehr Qualitätsbewusstsein!

Es ist zu hoffen, dass zunehmend mehr Kunden im Sinne des deutschen Qualitätsbewusstsein kritischer werden und Mängel anzeigen, bevor das Pferd zu Schaden kommt. Je häufiger ein Pensionsstallanbieter mit zielgerichteten Fragen nach der Korrektheit seiner Anlage, sachlicher Kritik und nach einem Unfall mit berechtigten Forderungen und ggf. mit der Kündigung seiner Einsteller konfrontiert wird, desto eher wird er einsehen, dass er seinen Stall mit dem nötigen Qualitäts- und Sicherheitsniveau betreiben muss. Es ist aber auch wünschenswert, dass der Kunde einmal den Wert der im Grunde umfassenden Dienstleistung erkennt und auch bereit ist, für den einen oder anderen Service einen Extrapreis zu bezahlen, so dass für beide Teile ein faires Geschäft entsteht.

Literaturempfehlungen:

Gerlinde Hoffmann und Dr. Hans-Dietrich Wagner
Orientierungshilfen Reitanlagen- und Stallbau
FN-Verlag Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V.
10. Auflage 2001
ISBN 3-88542-243-3

Ingolf Bender
Praxishandbuch Pferdehaltung,
Kosmos Verlag 1999. ISBN 3-440-07560-5

Ingolf Bender
Praxishandbuch Pferdeweide,
Kosmos Verlag 2003;
ISBN 3-440-09248-8).

Eberhard Fellmer/ Dr. Antje Rahn
Der richtige Stall für mein Pferd – Pferdepension und Einstellungsvertrag
Cadmos Verlag 1997
ISBN 3-86127-315-2


Autor: Jessen



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