Können Kaufpreise sittenwidrig sein?

Fühlten sich die Verkäufer von Pferden durch die Änderungen des Kaufrechts schon erheblich benachteiligt und einem unkalkulierbaren Risiko ausgesetzt, so kann das am 18.12.2002 ergangene Urteil des Bundesgerichtshofes den gewerblichen und privaten Handel mit Sportpferden völlig unberechenbar machen.

Was ist geschehen?

Die Klägerin wollte für Ihre Tochter, die seit 1994 bereits an nationalen und internationalen Springturnieren teilnahm, ein gutes „Erstpferd" kaufen. Ende Januar 1999 erwarb sie von dem Beklagten eine Fuchsstute für 170.000 DM. Kurz vorher, am 8. 1 1999 war das Pferd in einer Tierklinik für mangelfrei befunden worden. Als die Stute beim Reiten Widerstand leistete, wurde sie im April 1999 erneut untersucht. Es wurden Kissing Spines (hochgradige Veränderungen der Dornfortsätze) festgestellt, die bereits zum Zeitpunkt des Kaufs vorgelegen haben müssen. Im Juli wurde festgestellt, dass das Pferd für den Reitsport nicht geeignet ist.
Mittels eines Privatgutachtens ließ die Klägerin den Wert der Stute zum Zeitpunkt des Kaufs feststellen, in dem ohne Berücksichtigung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen lediglich einen Wert von 37.000 DM ermittelt wurde.

Erste Klage abgeschmettert

Daraufhin verklagte die Käuferin den Verkäufer wegen arglistiger Täuschung, weil er angeblich den Mangel der Kissing Spines verschwiegen hatte, und auf Sittenwidrigkeit wegen des zu hohen Kaufpreises. Sie wollte nicht nur den Kaufvertrag rückgängig machen, sondern auch alle weiteren Aufwendungen ersetzt haben.
Sowohl das Landgericht in Kleve als auch das Oberlandesgericht Düsseldorf wiesen die Klage ab.

Das Oberlandesgericht bestätigte zwar das krasse Missverhältnis zwischen dem Verkaufspreis von 170.000 DM und den 37.000 DM aus dem Wertgutachten. Woran es allerdings seiner Meinung nach fehlte, war die nach § 138 Abs. 1 BGB erforderliche „verwerfliche Gesinnung" (s. Kasten) des Verkäufers, weil die besonderen Umstände im Handel mit Turnierpferden diese Vermutung widerlegen: so gibt es im Pferdehandel erfahrungsgemäß keine objektiven Marktpreise. Sympathie und Emotion, persönliche Harmonie zwischen Pferd und Reiter oder auch die Hoffnung, einen bisher unerfahrenen Youngster aufgrund seiner Bewegungen und Rittigkeit irgendwann aufs Olympiatreppchen zu reiten, führen oft zu wahren Traumpreisen, die zahlreiche Käufer durchaus freiwillig bezahlen.

Der Gang zum BGH

Darauf wandte sie sich an den Bundesgerichtshof. Die obersten Richter waren der Ansicht, dass der Kaufvertrag nach den bisher vorliegenden Fakten und Feststellungen des Landes- und Oberlandesgerichts gegen die guten Sitten verstößt und daher gem. § 138 Abs.1 BGB nichtig sein könnte, mit der Folge, dass der Vertrag nichtig und im Ergebnis rückabzuwickeln ist.

Zunächst weist der BGH auf Widersprüche in der Entscheidung hin. Das OLG könne nicht auf der einen Seite sagen, der tatsächliche Wert des Pferdes betrage laut Gutachten 37.000 DM und auf der anderen Seite ausführen, es gebe eigentlich keinen objektiven Marktwert, weil die oben aufgeführten Gründe den Wert eines Pferdes bestimmten.

Die „Verwerflichkeit" betreffend gab der BGH der Klägerin recht. Das oberste Gericht kam hier zur Ansicht, dass zwar auch in anderen Bereichen – zum Beispiel bei Grundstücken – subjektive Gesichtspunkte den Marktpreis beeinflussten, der durchaus auch überhöht sein könne. Allerdings dürfte die im Geschäftsverkehr übliche Regel der „Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung" auch im Handel von Sportpferden nicht völlig außer Kraft gesetzt werden.

Mach's noch mal, OLG

Das praktische Ergebnis: Der BGH verwies den Rechtsstreit wieder zurück zum Oberlandesgericht, damit dieses den Sachverhalt erneut prüft und dann entscheidet. Grund dafür war, dass in der ersten Prozessrunde nicht eindeutig geklärt wurde, welche Praxis im Handel mit Turnierpferden hinsichtlich der Preisbildung üblich ist. Dieser Punkt ist nunmehr von dem OLG mittels eines Sachverständigen neu zu überprüfen. Er muss letztendlich feststellen und erklären, ob es einen objektiven Marktpreis im Pferdesporthandel gibt. Kommt der Sachverständige zu einem objektiven Marktpreis, so ist dessen Höhe anzugeben. Weicht dieser deutlich von den gezahlten 170.000 DM ab, so wird es bei der Nichtigkeit des Kaufes bleiben.

Marktpreis ja oder nein?

Es ist kaum anzunehmen, dass der Sachverständige jegliche Marktbindung ablehnen wird. So benötigen zum Beispiel auch Versicherungsunternehmen einen durchschnittlichen Marktpreis im Rahmen ihrer Regulierungstätigkeit. Dass es andererseits in Einzelfällen zu einer vom Marktpreis abgelösten Preisbildung kommen kann, dürfte auch klar sein. Ein Blick in die Spitzenpreise von Versteigerungen zeigt dies deutlich.

Was bedeutet das für die Verkaufspraxis?

Nach der Argumentation der obersten Richter muss nun jeder Verkäufer bei einem guten Geschäft befürchten, dass der unzufriedene Käufer später den Kaufvertrag unter Berufung auf diese Entscheidung rückabwickeln will.
Das Urteil führt vor allem für den Verkauf eines Durchschnittspferdes auf dem Durchschnittsmarkt – was immer man darunter im Einzelnen versteht – zu weiterer Unsicherheit für den Verkäufer. Es liefert auch einen weiteren Angriffspunkt für den unzufriedenen Käufer, der mit seinem Pferd nicht zufrieden ist.
Das Pferdeverkaufsgeschäft ist also weiterhin spannend: Es bleibt abzuwarten, was das OLG in seiner neuen Verhandlung feststellen wird.


Sittenwidrigkeit und Wucher

§ 138 Abs. 1 BGB schreibt vor, dass „ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig ist". Im vorliegenden Fall ging der Bundesgerichtshof von einem wucherähnlichen Rechtsgeschäft aus.
Voraussetzung für ein wucherähnliches Rechtsgeschäft ist, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht (objektive Voraussetzung) und bei dem Begünstigten, hier dem Verkäufer, eine verwerfliche Gesinnung (subjektive Voraussetzung) vorliegt. Ist das Missverhältnis besonders grob, so wird vermutet, dass dem Rechtsgeschäft eine verwerfliche Gesinnung zugrunde liegt.





Lars Jessen


Autor: Jessen



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